Geschichtsschreibung im Sport: Eine schöne, alte, bewegende Zeit
Eine Ausstellung präsentiert den Sport der Weimarer Republik als Erfolgsgeschichte – mit den Nazi-Spielen 1936 als Höhepunkt.

Dort steht: „Mit der erzwungenen Abrüstung und dem Wegfall der Wehrpflicht sieht man den Sport als Mittel, um die Deutschen körperlich fit und wehrhaft zu halten.“ Man? Zum Beleg wird Carl Diem zitiert, 1917 bis 1933 Generalsekretär des Deutschen Reichsausschusses für Leibesübungen, des Dachverbands des bürgerlichen Sports. „Mit ganzer Energie“, so Diem 1920, müsse die „Änderung der Lebensführung“ mit einer „Staatsbürgerpflicht“ zum Sport „erzwungen werden“. Freiheit in Bewegung?
Ab 1933 organisierte Diem im Einvernehmen mit der NS-Sportführung die Spiele von 1936. Doch man liest, Diem sei „von den Nationalsozialisten als ‚politisch unzuverlässig‘ eingestuft“ worden. 1939 wurde er zum „Führer des Gaues Ausland“ im Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen ernannt. 1940 ließ er die SS im besetzten Paris französische Sportfunktionäre darauf überprüfen, ob sie Juden sind. Noch am 17. März 1945 hielt er in Berlin eine Durchhalterede vor Kindersoldaten der HJ. „Politisch unzuverlässig“? Waren die Ausstellungsmacher hier richtig informiert?
Ausstellungstafel von „Freiheit in Bewegung“
Wissenschaftliche Beratung leisteten Sigrid Jürgens und Ulrich Schulze Forsthövel für den DOSB und Wolfram Pyta (Universität Stuttgart), der zuletzt bestritt, Ex-Kronprinz Wilhelm habe dem NS-Regime entscheidenden Vorschub geleistet. Den Kronprinzen kannte Diem schon im Kaiserreich – als Sportförderer. Damals begann die Amalgamierung von Nationalismus, Sport und Krieg. Ab 1911 war Diem im Vorstand des Jungdeutschlandbunds aktiv, einer staatlich geförderten, antisozialdemokratischen und militärpropädeutischen Jugendorganisation. Als Generalsekretär der für 1916 angesetzten Olympischen Spiele betrieb er Olympiawerbung als nationalistische Mobilisierungskampagne. Sein Pressechef Martin Berner deutete Olympia gar als „Symbol des Weltkrieges“, das seinen „militärischen Charakter nicht so offen zur Schau trägt“. Der Weltkrieg kam. Die Spiele fielen aus. Nun erklärte Diem es zur „Frage des Takts und der nationalen Würde“, mit wem man nach gewonnenem Krieg noch Sportverkehr pflegen würde. In der Ruhrkrise 1923 lehnte er die deutsche Beteiligung an Olympischen Spielen ab, „solange“ – er benutzt das N-Wort – „in französischer Uniform am Rhein stehen“.
Unterschiede zwischen bürgerlichem und Arbeitersport werden verwischt
In der Ausstellung jedoch wird geklagt, „isoliert und von internationalen Wettkämpfen ausgeschlossen“, seien deutsche Athleten „nach dem Krieg aus dem Weltsport verbannt“ und erst 1928 wieder zu Olympia zugelassen worden. Die Reintegration wird in der Stresemannschen Entspannungspolitik kontextualisiert. Gelobt aber wird Diem: „Sein Engagement führt schließlich zur Rückkehr Deutschlands auf die internationale Sportbühne, die mit der Vergabe der Olympischen Spiele 1936 an Berlin gekrönt wird – ein Erfolg, den er maßgeblich vorantreibt.“ Diem setzte seine Karriere im NS-Regime fort – und danach in der Bundesrepublik.
Die Ausstellung liefert (inklusive der Wiedergabe zeitgenössischer Sportkritik) eine Erfolgsgeschichte des Weimarer Sports bis zu den Spielen von 1936. Sie unterscheidet bürgerlichen und Arbeitersport soziologisch und statistisch, nicht aber politisch. Die Behauptung, „man“ habe Sport als Wehrpflichtersatz gesehen, verwischt Unterschiede und Gegensätze. Die sozialdemokratisch orientierte Zentralkommission für Sport und Körperpflege (ab 1922 für Arbeitersport und Körperpflege) entstand 1912 in Abgrenzung zur Politik der bürgerlichen Verbände.
Begegnungen mit Sportlern aus alliierten Staaten gab es im Arbeitersport schon 1919. Auf dem Plakat zur ersten Internationalen Arbeiterolympiade in Frankfurt/Main 1925 – es ist in der Ausstellung zu sehen – schreitet ein Athlet über verbeulte Stahlhelme, zerbrochene Gewehre und zum Hakenkreuz verdrehten Stacheldraht hinweg. Freiheit in Bewegung. Auf den bürgerlichen Reichsausschuss lässt sich dieses Motto nur anwenden, wenn man seine nationalistische und militärfreundliche Orientierung vor und nach dem Ersten Weltkrieg nicht genau analysiert und seine so schnelle wie freiwillige Selbstgleichschaltung 1933 ignoriert. Die deutsche Sportgeschichte braucht tiefere Analysen, als diese Ausstellung sie bietet, um demokratische Traditionen zu begründen.
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